Die Houdini-Verfahrensdokumentation
- Jan Lutz

- 25. Juli
- 5 Min. Lesezeit
„Verfahrensdokumentation? Das mache ich, wenn es brennt!“ Ein Gespräch, das Sie besser nicht führen sollten.
Unternehmerinnen und Unternehmer in Deutschland stehen vor einer Vielzahl an Herausforderungen. Das Tagesgeschäft fordert volle Aufmerksamkeit, externe Pflichten drängen, strategische Entscheidungen sind für die langfristige Ausrichtung nötig und als oberster Repräsentant des Unternehmens, ist man ebenfalls ständig gefragt. Inmitten dieses Trubels erscheint die Pflicht zur Verfahrensdokumentation leicht wie ein aufschiebbarer, bürokratischer Aufwand. Einen, den man erledigen wird, wenn es „wirklich“ notwendig wird. Im Gegensatz zu Mitarbeitenden und Geschäftspartner:innen, schickt eine fehlende Verfahrensdokumentation keinen Reminder.
Den folgenden Dialog haben wir als divedo so oder so ähnlich schon öfter geführt. Entsprechend wollen wir aufräumen mit dem Mythos einer nachträglich erstellten Verfahrensdokumentation, die einen wie durch Zauberhand vor den Konsequenzen bei der Betriebsprüfung entkommen lässt.

Unternehmer 👨💼💬:
„Als Unternehmer habe ich schon genug zu tun. So viele Dinge an die ich denken, so viele Themen die ich voranbringen muss. Die Pflicht für eine Verfahrensdokumentation steht sicher irgendwo, aber ehrlich gesagt weiß ich nicht wirklich viel darüber. Jedenfalls fragt aktuell keiner danach und ich sehe auch keinen Mehrwert darin.“
💁♂️💬 divedo:
„Der Weg, den Sie da schildern, klingt verlockend. Aber spätestens bei der nächsten Betriebsprüfung werden Sie Ihre Verfahrensdokumentation vorlegen müssen.“
Unternehmer👨💼💬:
„Das Problem Verfahrensdokumentation löse ich, wenn es heiß wird. Und dann im Schnellverfahren. Kostet wahrscheinlich etwas mehr, dafür ist sie dann aktuell. Bei uns passiert ja so viel, dass ich die Dokumentation ständig anpassen müsste.“
🙅♂️💬divedo:
„Mir sind wenige Prüfungen bekannt, die so entspannt ablaufen, dass man zusätzlich nebenbei noch eine Verfahrensdokumentation erstellen möchte. Auch nicht mit einem Partner, der einem den Aufwand soweit möglich abnimmt. Aber hier kommt das Entscheidende: Die Betriebsprüfung fragt nicht nach der zukünftig aktuellen Dokumentation, sondern nach denjenigen, die im Prüfungszeitraum gültig waren.“
Unternehmer👨💼💬:
„Ja gut, dann erstelle ich die eben rückwirkend.“
🙆♂️💬divedo:
„Sie wollen das aktuell nicht erstellen, weil die anderen Aufgaben Sie zu sehr binden. Erwarten Sie, dass sich das ändert?“
Unternehmer👨💼💬:
„Ehrlich gesagt, nein.“
💁♂️💬divedo:
„Sie haben gesagt, dass sich bei Ihnen ständig etwas ändert und eine Verfahrensdokumentation deshalb regelmäßig angepasst werden müsste.“
Unternehmer👨💼💬:
„Korrekt!“
🤷♂️💬divedo:
„Und in diesem stressigen Umfeld wollen Sie im Jahr 2029 rückwirkend die jeweils gültigen Verfahrensdokumentationen für die Jahre 2024, 2025, 2026 erstellen und alle Prozess-Änderungen aus dieser Zeit nachvollziehen, während Sie die Betriebsprüfung im Haus haben?“
Unternehmer👨💼💬:
(Schweigen)
🤦♂️💬divedo:
„Enjoy!“👀

🕒❗️Die Realität im Prüfungsfall: Warum Aufschieben keine Lösung ist
So humorvoll der Dialog anmutet, die Realität ist alles andere als spaßig, wenn es zur Betriebsprüfung kommt und die Verfahrensdokumentation fehlt oder unzureichend erstellt wurde. Die Finanzverwaltung verlangt im Rahmen der GoBD (Grundsätze zur ordnungsmäßigen Führung und Aufbewahrung von Büchern, Aufzeichnungen und Unterlagen in elektronischer Form sowie zum Datenzugriff) eine vollständige, nachvollziehbare und insbesondere versionierte Verfahrensdokumentation.
Die häufigsten Irrtümer und warum sie tückisch sind
❌ 1. „Eine einmalige Erstellung reicht aus.“
Die Verfahrensdokumentation ist kein statisches Dokument, das nach einmaligem Erstellen für immer Gültigkeit besitzt. Die Verfahrensdokumentation muss für den gesamten relevanten Prüfungszeitraum vorliegen. Sie muss die Änderungen in der operativen Praxis – sei es durch Anpassungen im Prozess, durch neue Hard-/ Software oder Mitarbeiterwechsel – widerspiegeln. Denn: Unternehmen unterliegen ständigen Veränderungen. All das muss in der Verfahrensdokumentation abgebildet werden. Die GoBD verlangen daher eine fortlaufende Anpassung und Versionierung. Jede Änderung muss zeitnah dokumentiert und mit einem Versionsstand versehen werden.
Dies ist nicht nur eine Formalie, sondern ein zentraler Nachweis der Ordnungsmäßigkeit. Wenn sich z.B. der Speicherort Ihrer Belege geändert hat oder die Hardware einer Mitarbeiterin getauscht wurde, dann fällt das bei der Betriebsprüfung natürlich auf. Die Finanzverwaltung erwartet, dass mit der für den jeweiligen Prüfungszeitraum vorgelegten Verfahrensdokumentation die Abläufe in den buchhaltungsrelevanten Prozessen nachvollzogen werden können.
❌2. „Eine nachträgliche Erstellung ist problemlos möglich.“
Das klingt in der Theorie leichter, als es in Realität ist. Die nachträgliche Rekonstruktion der jeweils gültigen Verfahrensdokumentation für vergangene Jahre ist in der Praxis kaum realistisch. Prozessabläufe werden vergessen, Details sind ohne detaillierte Recherche kaum nachvollziehbar, frühere Versionen existieren nicht. Die Finanzverwaltung prüft nicht nur, ob eine Dokumentation existiert, sondern auch, wann sie erstellt, wie sie fortgeschrieben wurde und ob sie zu den geprüften Unterlagen passt.
Eine nachträgliche Erstellung ist leicht erkennbar. Nicht nur durch die fehlende oder lückenhafte Versionierung, sondern auch durch die Abweichungen zwischen Prozessbeschreibung und tatsächlicher Abwicklung, die sich durch die „Magie der Prüfung“ zu erkennen gibt. Die Finanzverwaltung erkennt solche Versuche meist schnell und wertet sie als Verstoß gegen die Ordnungsmäßigkeit. Im schlimmsten Fall droht die Verwerfung der Buchführung mit allen daraus folgenden Konsequenzen.

❌3. „Die Verfahrensdokumentation ist nur ein bürokratischer Aufwand ohne Mehrwert.“
Wer seine Verfahrensdokumentation gewissenhaft erstellt, zieht daraus immer einen unternehmerischen Mehrwert (vgl. Sie dazu diesen Blogbeitrag). Eine sauber geführte Verfahrensdokumentation ist nicht nur ein Schutzschild in der Betriebsprüfung, sondern hilft auch, interne Prozesse zu strukturieren, Verantwortlichkeiten zu klären und Schwachstellen zu erkennen. Sie ist damit ein Werkzeug der Unternehmensführung – nicht nur ein notwendiges Übel.
Was bedeutet das in der Praxis?
✔️Jede Änderung an Prozessen, Software oder Zuständigkeiten muss zeitnah und nachvollziehbar dokumentiert werden.
✔️Die Verfahrensdokumentation muss so geführt werden, dass frühere Versionen erhalten bleiben und jederzeit vorgelegt werden können.
✔️Eine nachträgliche Erstellung oder „Glättung“ der Dokumentation ist in der Regel leicht erkennbar. Wenn Versionierung und Änderungsverläufe fehlen oder unplausibel sind, wird das Vorgehen allzu offensichtlich.
📢Fazit:
Die Pflicht zur Versionierung macht eine nachträgliche Erstellung der Verfahrensdokumentation nicht nur riskant, sondern faktisch unmöglich, ohne dass dies bei einer Prüfung auffällt.
Was droht bei Verstößen?
Die Folgen einer fehlenden, lückenhaften oder nachträglich erstellten Verfahrensdokumentation können erheblich sein:
⚠️Verwerfung der Buchführung: Die Ordnungsmäßigkeit der Buchführung wird infrage gestellt, was zu erheblichen steuerlichen Nachteilen führen kann.
⚠️Schätzungen durch das Finanzamt: Im schlimmsten Fall kann das Finanzamt die Besteuerungsgrundlagen schätzen, was nicht zum Vorteil des Unternehmens geschieht.
⚠️Haftungsrisiken für Geschäftsführung: Die Geschäftsführung kann persönlich haftbar gemacht werden, wenn sie ihren Dokumentationspflichten nicht nachkommt.
⚠️Image- und Vertrauensverlust: Eine Betriebsprüfung, bei der grundlegende Pflichten nicht erfüllt werden, kann das Vertrauen von Geschäftspartnern, Banken und Investoren nachhaltig erschüttern.
Ein Plädoyer für Weitsicht und Proaktivität
Auch wenn es verständlich ist, dass das Tagesgeschäft viele andere Prioritäten setzt: Die Pflicht zur Verfahrensdokumentation ist keine aufschiebbare Nebensache, die sich später wie durch Zauberhand lösen lässt. Sie ist ein zentrales Element der Unternehmensführung und der steuerlichen Compliance. Wer hier proaktiv handelt, schützt nicht nur das eigene Unternehmen vor erheblichen Risiken, sondern verschafft sich auch intern einen klaren Überblick über Prozesse und Verantwortlichkeiten.
✅Mein Tipp als Experte:
Lassen Sie sich nicht von der scheinbaren Komplexität abschrecken. Mit professioneller Unterstützung lässt sich eine Verfahrensdokumentation effizient aufsetzen und fortschreiben. Der Erkenntnisgewinn und die identifizierten Effizienzpotentiale übertreffen dann meistens den Aufwand und die Kosten zur Erstellung. Zusätzlich sind Sie für die nächste Betriebsprüfung bestens gerüstet. Wie bei den meisten unternehmerischen Entscheidungen gilt auch bei der Verfahrensdokumentation, dass der Aufwand durch ein Aufschieben nicht geringer wird – das Risiko wird nur größer.
🌟💡Die Verfahrensdokumentation ist kein Projekt, das man „irgendwann, wenn es brennt“ erledigen sollte. Sie ist ein fortlaufender Prozess, der Ihr Unternehmen schützt und stärkt. Wer heute investiert, spart morgen Nerven, Zeit und Geld – und kann der nächsten Betriebsprüfung gelassen entgegensehen.
Oder, um es mit einem Augenzwinkern zu sagen:
Sie können natürlich warten, bis die Prüfung vor der Tür steht.
Aber dann bleibt nur noch eines zu sagen:



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